Ihr wisst ja, dass mir das kindliche Spiel ein grosses Anliegen ist. Denn spielen ist eine der wichtigsten Faktoren für eine gesunde und ausgeglichene Kindheit. Das freie Spiel liegt mir besonders am Herzen., da es eine Form des Spielens ist, die speziell die Kreativität und Fantasie des Kindes anspricht und fördert. Im freien Spiel entdeckt und erlebt dein Kind seine Fähigkeiten, Potenziale und Stärken, aber auch mal seine Grenzen.
In diesem Artikel möchte ich dir das freie Spiel näherbringen und insbesondere auch das freie Spiel draussen in der Natur ans Herz legen.
Ich erinnere mich sehr gerne daran, wie ich als Kind zusammen mit meiner Freundin in den nahen Wald gegangen bin, wie wir uns unter Büschen ein geschütztes Haus bauten und dann darin die fantasievollsten Spiele spielten oder stundenlang gemeinsam Geschichten erfanden. Das Gefühl, nur wir beide seien auf dieser Welt, und das tiefe Eintauchen in unsere Fantasie habe ich geliebt. Keine Erwachsenen, die uns kontrollierten oder vorgaben, was zu tun ist. Wir lebten in unserem Spiel. Trotzdem war uns bewusst, dass wir nach einer Weile wieder nach Hause zurück mussten, und wir fanden immer einen guten Moment, um das Spiel oder die Geschichte zu beenden und heimzugehen – mit dem Wissen, dass wir bald wieder in den Wald zu unserem Geheimplätzchen zurückkehren werden und an unser Spiel anknüpfen können.
Und ganz ähnlich erlebte ich meinen Enkel vor kurzem. Wir gingen zusammen in den Wald und spazierten auf dem Waldweg. Etwas weiter vorne, abseits des Weges, veränderte sich der Wald von Mischwald zu Tannenwald mit viel Moos am Boden. Dadurch, dass fast nur Tannen wuchsen, wirkte der Wald dort dunkel. Mein Enkel sagte mir: „komm wir gehen in den dunklen Wald.“ Und so tauchten wir ein in die Dunkelheit. Jeder Baumstrunk wurde nun für meinen Enkel zum Ungeheuer, welches wir umgehen, besiegen oder ausser Gefecht setzen mussten. Mein Enkel fand Äste, die zu Zauberstäben, Ungeheuerabwehrinstrumenten oder zu Ablenkungsgeräten wurden. Er suchte die richtigen Wege, fand verschlungene Pfade und entdeckte überall weitere Gestalten und ging immer mutig voraus.
Ich spielte mit – ganz nach seinen Ideen und Regeln - wir genossen beide eine Zeit im Wald, in der die Realität keine Rolle spielte.
Mein Enkel, oder auch ich früher als Kind, hatte die Möglichkeit, in ein freies Spiel einzutauchen.
Was ist freies Spiel?
Das freie Spiel wird ganz von deinem Kind selbst bestimmt und erschaffen. Dein Kind entscheidet selbst, zu welchem Zeitpunkt es spielen möchte. Es entscheidet selbst, was in seinem Spiel zu tun ist, legt seine eigenen Regeln fest, verhandelt sie mit Spielgspänli und oft ändern sich die Regeln während des Spiels immer wieder. Das freie Spiel ist eine absichtslose und zweckfreie Tätigkeit und deshalb so enorm wichtig für die gesunde Entwicklung deines Kindes!
Warum ist das freie Spiel so wichtig?
Im Spiel lernt dein Kind die Welt kennen. Spielen ist die Erkundung des Möglichen. Im zweckfreien und absichtslosen Spiel findet dein Kind heraus, was möglich ist und was nicht, wie es etwas tun muss, wie etwas genau geht oder warum etwas so funktioniert. Dein Kind probiert aus, ändert, versucht und wiederholt im Spiel immer wieder Dinge, die es beschäftigt oder die es wissen und verstehen möchte. Leider vergessen wir immer wieder, dass alles, was spielerisch gelernt wurde, besser verankert und verinnerlicht wird. Im Spiel werden viele verschiedene Gehirnregionen aktiviert. Deshalb sind mehr Verbindungen im Gehirn möglich, was zu einer vertieften Aufnahme und Speicherung des Gelernten führt. Im freien Spiel kann sich Gelerntes ausserdem besonders gut im Gehirn verankern, weil neuronale Verknüpfungen im Gehirn schneller und leichter entstehen, wenn man seinen eigenen Interessen folgen kann und man Freude an einer Sache hat. Wenn dein Kind jedoch etwas ganz gezielt lernen muss, zum Beispiel Buchstaben schreiben oder zählen, Französischvokabeln lernen oder ein Stück auf dem Klavier spielen, dann wird nur ein bestimmter Bereich im Gehirn aktiviert und lernen geschieht weniger nachhaltig. Das freie Spiel – ein Spiel, welches keinen vorgegebenen Zweck erfüllen muss - sorgt also für die besten Verbindungen der verschiedenen Gehirnregionen.
Darum finde ich es so wichtig, dass man sich bewusst ist, dass nicht nur Kleinkinder spielen dürfen! Auch grössere Kinder, Schulkinder und auch Jugendliche brauchen das Spiel, vor allem das freie Spiel. Sie sollten nicht nur spielen dürfen, wenn mal neben all dem vermeintlich wichtigen, vorgegebenen Programm mal kurz Zeit übrig ist. Auch ein Schulkind benötigt viel Zeit, um zweckfrei und absichtslos spielen zu können!
Und sogar wir Erwachsenen lernen beim freien Spiel der Kinder. Wenn du deinem Kind immer wieder Zeit für freies Spiel gibst, lernst du deinem Kind zu vertrauen, du lernst, dass du die Kontrolle auch einmal abgeben kannst und du lernst Gelassenheit.
Freies Spiel im Freien
Der Alltag von Kindern hat sich in den letzten 50 Jahren verändert. Kinder erleben oft einen durchgetakteten Tagesablauf. Förderprogramme, Sport- und Musikunterricht (bereits für Vorschulkinder), Fernsehen, Handys und Computerspiele lassen oft kaum Zeit für selbstbestimmtes Spielen. Ausserdem bleibt neben all dem Vorgegebenem wenig Zeit, nach draussen zu gehen.
Sicher erinnerst du dich selbst an wunderbare Sommer, die du gefühlt 24 Stunden draussen verbracht hast – ungestört am Spielen im Garten, im Wald, im Quartier. Offenbar hat sich dies etwas geändert: laut einer Studie des Meinungsforschungsinstitut Link verbringt ein Schweizerkind durchschnittlich pro Tag nur eineinhalb Stunden draussen. Schulweg, Sportunterricht und andere vorgegebene Freizeitaktivitäten sind in dieser Zeit bereits eingeschlossen.
Deshalb möchte ich dich ermutigen, dein Kind immer mal wieder im Garten, im Park im Quartier oder im nahen Wald spielen zu lassen. Wo es dir unwohl ist, dein Kind allein hingehen zu lassen, sollst du natürlich mitgehen und dabei sein. Aber versuche, dein Kind selbstbestimmt spielen zu lassen und nichts vorzugeben oder einzugreifen. Ich sehe mich in einer solchen Situation ein bisschen wie ein Rettungsschwimmer – ich bin in der Nähe aber nur dann im Einsatz, wenn es mich wirklich dringend benötigt.
Das freie Spiel draussen in der Natur bietet deinem Kind ganz andere Spielmöglichkeiten als das Spiel im Haus, im Kinderzimmer. Die Natur gibt Platz für Bewegung - dein Kind kann herumrennen, auf Bäume klettern, über Baumstämme balancieren, unter Büsche kriechen, durch nasses Gras gehen, in Pfützen springen, durch Matsch stapfen, hinauf steigen und Ausschau halten, von einem Baumstamm hinunterspringen und vieles mehr. Der Garten oder der Wald bietet deinem Kind Möglichkeiten für Abenteuer, es kann sich an seltsame und etwas schauerliche Orte begeben, zum Beispiel in die kleine Nische unter der Kellertreppe, in der Spinnen herumkrabbeln. Oder zu Baumstrünken, die aussehen wie fremdartige Tiere. Dein Kind entwickelt Mut und wagt sich an neue Herausforderungen und lernt Risiken abzuschätzen Da das freie Spiel in der Natur mehr Bewegung voraussetzt, als das Spiel zu Hause, verbessert dein Kind seine motorischen Fähigkeiten. Durch das Klettern, Rennen, Springen oder Schleichen lernt dein Kind sich und seinen Körper besser kennen und kann seine Ausdauer steigern. Ausserdem ermöglicht das freie Spiel in der Natur deinem Kind das Erleben von natürlichen Rhythmen – den Wechsel der Jahreszeiten und des Tagesablaufs. Dein Kind erlebt das Spiel von Licht und Schatten. Und nicht zu vergessen sind die vielfältigen Begegnungen mit Tieren – mit Schnecken, Regenwürmern, mit Insekten aller Art aber auch mit Katzen, Hunden, Kaninchen, Hühnern oder was immer deinem Kind draussen über den Weg läuft.
Was braucht es draussen für das freie Spiel?
Die Natur ist eine ideale Umgebung für das freie Spiel! Naturnahe Spielräume fördern die Entwicklung und das Wohlbefinden deines Kindes auf ganz vielfältige Art und Weise. Die Struktur- und Materialvielfalt, der dein Kind draussen in der Natur begegnet, führt zu ganz verschiedenartigen Sinneseindrücken. Denn dein Kind findet hier eine grosse Anzahl an frei verfügbarem Material ohne vorgegebener Funktion wie Erde, Sträucher, Sand, Äste, Blätter, Bäume, Rindenstücke, Sträucher, Bäume und Wasser. Sie alle regen die Fantasie deines Kindes an.
Vielleicht besitzt du einen Garten, dann liegt es auf der Hand, dass dein Kind auch im Garten spielen kann. Natürlich ist das Idealbild eines Gartens für dein Kind nicht unbedingt dasselbe wie für dich. Mit einer schönen Sitzecke umgeben von blühenden Blumen und einem Gartentisch für gemütliche Apéros mit Freunden kann dein Kind wenig anfangen. Ein Garten ist für dein Kind dann interessant, wenn es darin bauen, experimentieren, herumspringen, klettern, buddeln und mit Wasser spielen kann. Vielleicht findest du eine Ecke im Garten, die für dein Kind reserviert wird? Vielleicht stehen dort einige Büsche, in denen es sich eine Höhle bauen kann, oder ein Baum, auf den es klettern darf?
Aber auch vor der Haustüre, im Hof, oder auf der Brachfläche im Quartier und natürlich im Wald findet dein Kind wertvolle Erfahrungs- und Erlebnisräume. Selbstverständlich bietet auch ein Spielplatz viele Möglichkeiten für Erfahrungen im Freien. Oft ist auf dem Spielplatz jedoch vieles vorgegeben und dein Kind probiert die verschiedenen Spielgeräte aus und macht so natürlich eine Menge motorische Erfahrungen. Für wirklich freies Spiel, bei dem dein Kind sich in Fantasiewelten vertieft, eignet sich der Spielplatz dadurch etwas weniger. Auch ist es eine grosse soziale Herausforderung für dein Kind, wenn viele Kinder auf dem Spielplatz spielen. Auch von erwachsener Seite her ist es eine ganz andere Art dein Kind spielen zu lassen, wenn du auf dem Spielplatz andere Eltern triffst und mit ihnen plauderst, während eure Kinder spielen. Deshalb möchte ich dir sehr ans Herz legen, dein Kind immer mal wieder anderswo in der Natur spielen zu lassen, ob allein oder mit Gspänli zusammen ist egal – aber ohne vorgegebene Strukturen. So entsteht ein wirkliches freies Spiel!
Und natürlich: auch schmutzige Kleider, aufgeschürfte Knie oder zerrissene Hosen sowie der Umgang mit Gefahren gehören zum freien Spiel draussen in der Natur. Ebenso die Tatsache, dass du manchmal nicht genau weisst, wo gerade dein Kind steckt und du deshalb deinem Kind viel Vertrauen schenken musst. Sich bewusst zurückzuhalten ist nicht einfach, aber dadurch erhält dein Kind die Möglichkeit, etwas alleine auf seine kreative Art zu schaffen und kann so viele Erfolgserlebnisse sammeln.
Wenn dein Kind kreativ und fantasievoll draussen spielen und unterwegs sein darf, wird es liebend gerne draussen spielen. Freies Spiel in der Natur ist eine Welt voller Freiheit, Autonomie, Abenteuer und Fantasie. Und dies ist für dein Kind einfach nur wundervoll!
Ich wünsche deinem Kind schöne Stunden des freien Spiels!
Liebe Grüsse aus dem Atelier
Monika von hanni&fred