
Wie ich schon in meinem letzten Blogartikel beschrieben habe, brauchen Kinder Geschichten. Geschichten helfen deinem Kind, Werte zu entwickeln, es lernt zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, es entwickelt Empathie und lernt Lösungen zu finden. Ausserdem erweitert dein Kind seinen Wortschatz und verbessert seine sprachliche Ausdrucksfähigkeit, wenn es regelmässig Geschichten lauschen darf. Geschichten regen die Fantasie deines Kindes an und verhelfen ihm zu wichtigen inneren Bildern.
Und weil es sich beim Zuhören nahe bei dir, sicher und geborgen fühlt, kann es unbesorgt in spannende oder manchmal sogar gefährliche Fantasiewelten eintauchen.
So ist es ganz einfach, gemeinsam in die unendlichen Welten von Fantasiegeschichten einzutauchen. Wie aber kannst du spannende und mitreissende Geschichten erzählen?

Erzähltechnik
Sprache: Achte beim Erzählen darauf, dass du deutlich und etwas langsamer als gewöhnlich sprichst. Besonders, wenn du eine Geschichte das erste Mal erzählst, ist es wichtig, dass dein Kind dich gut versteht, denn es benötigt Zeit, der Handlung zu folgen und sie richtig zu verstehen. Verwende eine klare, bildhafte und auch mal eine etwas altmodische Sprache. Denn das macht deine Geschichte lebendig und zu etwas Besonderem. „Geschwindfüssig“, „Schlafgemach“ oder "müssiggängerisch“ zum Beispiel klingt doch viel bedeutungsvoller als „schnell“, „Schlafzimmer“ oder „langsam“. Und ganz nebenbei erweitert dein Kind auch noch seinen Wortschatz
Lautstärke: Variiere die Lautstärke nach den Geschehnissen deiner Geschichte. Geschieht in der Handlung etwas Geheimnisvolles, müssen sich die Protagonisten in acht nehmen oder schleicht jemand durch den Wald dann senke die Stimme und flüstere bedeutsam. Geschieht etwas Aufregendes oder ärgert sich jemand in der Geschichte sehr, dann kannst auch du lauter werden. Mit verschieden Lautstärken weckst du das Interesse deines Kindes und steigerst seine Konzentration.
Pausen: Um Spannung zu erzeugen hilft es, manchmal kurz in der Erzählung innezuhalten. Das macht die Handlung aufregender und du kannst einen Spannungsbogen aufbauen. Dagegen kannst du auch das Erzähltempo steigern, wenn dem Zwerg nur noch wenig Zeit bleibt, um sich aus der Höhle zu retten oder der Adler schnell in schwindelnde Höhen davonfliegt.
Stimmfarbe: Traue dich, den unterschiedlichen Figuren in deiner Geschichte mit der Stimme einen eigenen Charakter zu verleihen. Deine Geschichte wird um ein Vielfaches lebendiger, wenn du als König hochnäsig, als Bär grummelig, den Fuchs listig und die Fee wispernd sprichst. Dadurch kann sich dein Kind noch mehr in die Figuren und die Handlung einfühlen und mit leben.
Mimik und Gestik: Versuche Freude, Erstaunen, Trauer oder Angst auch in deinen Gesichtsausdruck zu bringen. So merkt dein Kind, wie du ganz und gar mit der Geschichte verschmilzt und die Stimmung überträgt sich so schnell auf dein Kind. Lache laut oder fies, gähne, schüttle den Kopf oder klopfe auf den Tisch – mit diesen Gesten und Geräuschen machst du deine Geschichte lebendig und greifbar und dein Kind kann mit den Figuren mitfühlen und in die Handlung eintauchen.
Blickkontakt: ganz wichtig ist, dass du beim Erzählen der Geschichte mit deinem Kind im Blickkontakt bist. So merkst du nämlich, ob du eine Stelle der Handlung zu spannend erzählt hast, und du kannst etwas ruhiger und leiser sprechen. Andererseits kannst du etwas mehr Aufregung in die Erzählung bringen, wenn du merkst, dass die Aufmerksamkeit deines Kindes gerade nachlässt

Für jedes Alter die richtige Geschichte
Babys und Kinder ab einem Jahr können noch keinen zusammenhängenden Geschichten zuhören. Trotzdem kannst du mit deinem Kleinen einfache Bilder betrachten und die verschiedenen Tiere oder Dinge benennen, Laute dazu machen und in deinen eigenen Worten erzählen, was auf den Bildern zu sehen ist – was der Bagger macht, was die Kuh frisst oder wohin der Vogel fliegt. Dein Kind kann sich noch nicht lange auf die Bilder konzentrieren und versteht vieles nicht, aber es geniesst deine Zuwendung und den Klang deiner Stimme. Ausserdem lernt es immer neue Worte kennen.
Ab etwa zwei Jahren kannst du deinem Kind Alltagsgeschichten erzählen. Denk dir Handlungen aus, die dein Kind selber schon kennt und dadurch einen Bezug dazu hat. Deine Geschichte kann vom Spaziergang in den Wald, vom Spielplatz, vom Kochen oder dem eigenen Garten erzählen. Hauptperson kann ein Kind im selben Alter deines Kindes sein, oder ein Tier, welches dein Kind gut kennt oder auch das Lieblingsspielzeug. Denke daran, dass die Geschichte noch kurz, einfach und klar verständlich sein muss und nur ein bis höchstens drei Figuren vorkommen sollten. Auch versteht dein Kind Zeitsprünge, wie einige Tage später, noch nicht. Kleine Kinder finden es toll, wenn Geschichten immer gleich anfangen, „wie Im Wald da lebte der kleine Bär und eines Tages…..“ Und ganz wichtig: enden muss deine Geschichte immer gut, alle Figuren der Geschichte müssen am Ende zufrieden und glücklich sein.

Kinder ab drei Jahren leben schon stark in ihrer Fantasiewelt, weshalb deine Geschichten auch fantasievoller und spannender werden dürfen. Es sollten noch nicht viele Figuren in der Geschichte vorkommen. Wichtig ist, dass die Geschichten eine Hauptfigur haben, welche liebenswert, mutig und unverwechselbar ist. Diese Figur kann auch alle Herausforderungen und Aufgaben lösen. So kann sich dein Kind mit der Hauptfigur identifizieren und gewinnt dadurch Selbstsicherheit. Die Handlungen in deinen Geschichten sollten jedoch immer noch einfach und vorhersehbar sein und wenig Zeitsprünge enthalten. Auch wenn in den Geschichten jetzt schon Bösewichte und gefährliche Tiere vorkommen, bleibt die Hauptfigur unbesiegbar und unversehrt. Damit dies wirklich so ist, hat sie Zauberkräfte, kann mit Tieren sprechen oder hat spezielle Hilfsmittel wie Siebenmeilenstiefel oder Kristallkugel. Auch bei diesen Geschichten wird am Ende alles wieder gut und die Bösen verschwinden für immer.
Ist dein Kind schon fünf Jahre oder älter, dann darf deine Geschichte komplexer und länger werden. Auch Orts- und Zeitsprünge sowie paralell verlaufende Handlungsstränge, wie zum Beispiel, „während der Fuchs im Wald nach dem Zauberstein suchte, machten sich am anderen Ende des Waldes die Freunde Hase und Igel auf den Weg……“ versteht dein Kind nun. Auch darf es wirklich spannend und sehr fantasievoll zu und her gehen, wichtig ist, dass am Schluss alles aufgelöst wird und es ein Happy End gibt. Dein Kind findet jetzt auch Geschichten, die seiner Erlebniswelt noch fremd sind, interessant und aufregend. Zum Beispiel Geschichten, die in fernen Ländern spielen, Geschichten von früher oder aus der Zukunft oder auch im Weltall, Dschungel oder auf dem Meeresgrund. Mit solchen Geschichten kann dein Kind seinen Horizont erweitern und neugierig auf die Welt werden. Auch kannst du nun bereits Fortsetzungsgeschichten erzählen, achte aber darauf, dass die jeweilige Geschichte ein Ende findet. Dein Kind wird es aber lieben, wenn du quasi einen Cliffhanger machst und ihm ein wenig verrätst, dass auf die Hauptfigur schon das nächste Abenteuer wartet. Dies soll aber so gestaltet sein, dass sich dein Kind nicht ängstigt.

Was braucht man zum Geschichten erfinden?
Vielleicht hättest du schon gerne mal deinem Kind eine selbst erfunden Geschichte erzählt, aber du denkst dir „mir fällt doch nichts ein“ , „ich habe nicht genug Fantasie“. Am besten vergisst du das ganz schnell wieder! Denn solche Gedanken blockieren dich nur unnötig. Wenn du eine Geschichte erfindest, muss die nicht von Anfang an klar vorgedacht sein – nein, der Weg ist das Ziel. Nur das Ausdenken und Erzählen der Geschichte selbst zählen. Und dann denke daran, dass du ja nicht allein bist. Denn weisst du nicht, wie du die Geschichte weiterfahren möchtest, findest keine sinnvolle Fortsetzung, dann frage dein Kind wie es wohl weiter gehen wird. Es wird ganz sicher mehrere Ideen haben, wie sich die Handlung entwickeln wird. Greif die Idee deines Kindes auf und es wird dir leicht fallen weiter zu erzählen.

Freies Erzählen üben
Um dich auf freies Erzählen einzustimmen, kannst du mit deinem Kind ein Bilderbuch anschauen und an einer für dich passenden Stelle die Geschichte einfach unterbrechen und dein Kind fragen, wie es jetzt wohl weiter gehen wird. So könnt ihr gemeinsam ins Fabulieren kommen und der Geschichte eine eigene Wendung und ein eigenes Ende geben.
Oder du nimmst ein Bilderbuch, welches ihr noch nicht kennt und erzählst es, ohne den Text zu lesen in deinen eigenen Worten.
Reise in die Geschichtenwelt
Um in Erzählstimmung zu kommen, musst du die richtige, geborgene Atmosphäre entstehen lassen, denn es empfiehlt sich, dass du und dein Kind symbolisch aus dem Alltag in die Fantasiewelt der Geschichten wechselt. Beginne deine Geschichte lieber nicht, wenn du im Voraus weisst, dass ihr gestört werden könntet oder die Geschichte sowieso nicht fertig erzählt werden kann. Damit euch das Eintauchen in eine andere Welt auch gelingen kann, ist es sehr hilfreich ein kleines Ritual zu etablieren:
Zünde eine Geschichtenkerze an und macht es euch mit Decken und Kissen an einem ungestörten Plätzchen gemütlich. Vielleicht möchtest du lieber eine Lichterkette in einem Geschichtenzelt aufhängen oder einen Geschichtenduft versprühen?
Schön finde ich auch, wenn dein Kind durch ein Tor in die Geschichtenwelt schlüpfen kann. Dazu nimmst du zum Beispiel einen Kleiderbügel und verzierst ihn mit Stoff- oder Krepppapierbändern, sodass sie als Bändervorhang am Bügel hängen. Vor dem Geschichten erzählen, hängst ihn in einem Türrahmen auf und dein Kind schlüpft hindurch in die Welt der Erzählungen.
Erfinde zu einem Lied, das dir gut gefällt, einen neuen Text, wie zum Beispiel „Im Gschichteland erläbt me allerhand, viu schöni, bsundrigi Sache…..“ (Schweizerdeutsch für im Geschichtenland erlebt man Allerhand, viele schöne, besondere Sachen...). Und danach machst du es dir mit deinem Kind in einer ungestörten Ecke in Haus oder Garten gemütlich.

Welche Handlung?
Es fällt dir leichter, eine tolle Geschichte zu erfinden, die dein Kind lieben wird, wenn dir bewusst ist, welche Bedürfnisse dein Kind gerade hat. Um diese auch herauszufinden, empfehle ich dir, dein Kind im Alltag zu beobachten:
Was spielt dein Kind oft? Was erzählt es? Was zeichnet und bastelt es? Hat es gerade gewisse Ängste? Freut es sich auf etwas Besonderes? Hatte es Streit? Aus diesen Beobachtungen kannst du dir dann einfacher ein Thema und eine ungefähre Handlung ausdenken.
Welche Figuren?
Als Figuren in deiner Geschichte eignen sich zum Beispiel Tiere gut. Kinder lieben in der Regel Tiere und können sich gut mit ihnen identifizieren. Auch kann man einfach verschiedene Charaktere verteilen, wie der grummelige Bär, das lustige Eichhörnchen, die weise Eule, der schlaue Fuchs. Auch in Zwergen und Elfen können sich Kinder sehr gut versetzen und es bieten sich sehr fantasievolle Geschichten an. Natürlich können Kinder im Alter deines Kindes die Geschichte bevölkern oder Prinzen und Prinzessinnen sind die Hauptakteure, denn auch mit diesen Figuren fühlt sich dein Kind schnell verbunden.
Die drei Teile der Handlung
Damit es dir leichter fällt, eine zusammenhängende Handlung zu erfinden, kannst du dich an diese drei Teile halten: Einleitung, Hauptteil, Schluss – ganz so, wie du es früher in der Schule bei deinen Aufsätzen gemacht hast…..
Anfang und Einleitung: ist dein Kind noch klein, dann beginne immer mit den gleichen Worten. Es muss nicht „es war einmal…“ sein, es eignen sich Sätze wie „im Wunderwald hat ein neuer Tag begonnen...“, „die Sonne scheint auf das Haus von…“ oder „wie jeden Morgen….“ genau so gut. Bei grösseren Kindern versuche, schon in der Einleitung bereits die Neugier auf die Geschichte zu wecken. Ausserdem beschreibst du in der Einleitung Ort und Zeit und lässt dein Kind die Hauptfiguren kennenlernen.
Hauptteil: In diesem Teil ist der Kern der Geschichte. Deine Erzählung steigert die Spannung hin zu einem Höhepunkt – einem Problem oder Hindernis. Danach kommt ein Wendepunkt, an dem die Hauptfigur die Lösung findet und sich alles dem Guten zuwendet.
Schlussteil: Der Schluss rundet deine Geschichte ab. Wichtig ist, dass deine Erzählung gut endet. Kindern ist ein glücklicher Ausgang einer Geschichte wichtig und das Wissen, dass trotz aller Schrecken und Unbill eine Lösung gefunden wird und alles gut kommt, gibt deinem Kind Sicherheit und Vertrauen.

Und noch ein paar Tipps
- Kinder lieben Erzählungen von früher. Deshalb kannst du gut aus Erlebnissen aus deiner Kindheit oder Anekdoten, die du von deinen Eltern oder Grosseltern kennst, eine Geschichte machen.
- Dein Kind hat ein Lieblingsbilderbuch, eine Lieblingsfigur aus einem Film oder von der Gutenachtgeschichte im Fernsehen? Dann erfinde doch einfach mal neue Geschichten rund um diese Figuren.
- Steckt die Hauptfigur in deiner Geschichte in der Falle oder in einer verzwickten Lage, dann baue einen Zauberspruch oder einen magischen Gegenstand in deine Erzählung ein – und schon ist die Situation gerettet. Dein Kind wird freudig den Zauberspruch mitsprechen.
- Kommst du in deiner Geschichte nicht weiter und fällt dir einfach gerade nichts ein, was der Geschichte Schwung bringen würde, lasse dich nicht verunsichern. Beziehe ganz einfach dein Kind mit ein und frage es, was es denkt wie der Zwerg in der Situation wohl reagiert hat. Die Antwort kannst du dann ganz einfach in deine Erzählung integrieren – „ „du hast recht, genau das hat der Zwerg nämlich gemacht“ und danach findest du sicher wieder in die Geschichte und falls nicht, suche gemeinsam mit deinem Kind nach weiteren Wendungen in der Erzählung, dein Kind wird nur so sprudeln vor Ideen.
- Baue tagesaktuelle Ereignisse in die Geschichte ein. Vielleicht war dein Kind vor kurzem an einem Geburtstagsfest, dann lasse auch die Figuren der Geschichte Geburtstag feiern. Oder hatte dein Kind Streit im Kindergarten, könnte die Hauptfigur auch in einen Streit geraten. Wie sie diesen Streit dann auflöst, kann deinem Kind neue Wege aufzeigen, wie es mit solchen Situationen umgehen kann.
- Beobachte dein Kind, während dem du erzählst, rückt es plötzlich näher zu dir, macht grosse Augen oder drückt sein Plüschtier an sich, dann ist die Geschichte wohl etwas zu spannend und deinem Kind ist es zu viel. Dann erzähle ruhiger und etwas sachlicher weiter, bis du merkst, dass sich dein Kind wieder sicher fühlt.
- Dein Kind darf während der Geschichte immer unterbrechen, etwas nachfragen, kommentieren oder weiter fabulieren. Es ist wichtig, dass es alles richtig versteht und sich und seine Ideen in die Geschichte einbringen darf.
- Auch wenn du eine Geschichte schon mehrere Mal erzählt hast, wenn dein Kind diese Geschichte schon wieder hören möchte – mach ihm diesen Gefallen. Wiederholungen sind für Kinder ganz wichtig. Und am besten ist es, wenn du die Geschichte so wortgetreu wie möglich wiederholst. Mit der Zeit kann dein Kind zum Beispiel den Zauberspruch mitsprechen und freut sich sehr darüber, schon zu wissen, dass auch dieses Mal am Ende alles gut wird.
- Und zu guter Letzt. Habe keine Angst vor Peinlichkeiten. Es ist dein Kind, das dir mit grosser Neugier und Spannung zu hört und es wird es lieben, wenn du mit ganz viel Ausdruck und grossen Gesten und wilder Mimik erzählst!

Ich hoffe, ich habe etwas die Freude am Fantasiegeschichten erfinden bei dir wecken können und wünsche dir ganz viel spannende Stunden zusammen mit deinem kleinen Sonnenschein in der Welt der Geschichten!
Herzliche Grüsse aus dem Atelier
Monika von hanni&fred