In diesem Artikel möchte ich gerne mit dir in die fantasievolle Welt deines Kindes eintauchen und dir etwas über eine wichtige Entwicklungsphase erzählen.
Lina ist überzeugt, dass die Wolken regnen, weil sie traurig sind. Max hat immer seinen besten Freund Tinky - einen lustigen kleinen Hund- bei sich. Zwar kann nur Max ihn sehen, aber Max weiss, auf Tinky ist immer Verlass. Malou ist sich sicher, dass das grosse grüne Krokodil noch unter ihrem Bett ist, und sie unmöglich einschlafen kann, solange es da ist. Lars ist sich sicher, der Ball liegt unter der Kommode, weil er dort schläft. Finn schlägt den Stuhl, weil er Schuld daran ist, dass sich Finn am Stuhl gestossen hat. Und Mahir und Emma kennen einen Platz, wo Zwerge, Feen und Elfen leben, und wenn sie wollen, können sie beide selbst ein Zwerg und eine Fee sein. Könnte eins der Kinder deines sein? Sicher kommen dir diese Situationen bekannt vor, dies oder ähnliches erleben Eltern von kleinen Kindern immer wieder. Wenn Kinder ganz in ihrer Fantasie versinken, sind sie sehr wahrscheinlich in der magischen Phase.
Was ist die magische Phase?
Im zweiten bis dritten Lebensjahr startet bei den meisten Kindern die sogenannte magische Phase. Realität und Fantasie verschwimmen in dieser Zeit. Dein Kind vermischt nun Dinge, die es bereits kennt, mit seinen eigenen fantasievollen Vorstellungen.
Laut dem Schweizer Entwicklungspsychologen Jean Piaget durchläuft jedes Kind diese Phase der Magie. Die einen Kinder mehr, andere Kinder weniger stark ausgeprägt.
Piaget bezeichnet mit der magischen Phase einen Schritt in der Entwicklung der Denkstrukturen von Kindern im Alter von ca. drei bis sechs Jahren, teilweise bis ins Grundschulalter, bis sieben oder acht Jahre. Typisch für diese Phase ist, dass dein Kind die Realität bereits wahrnehmen kann, sie aber mit fiktiven Gedanken, Ideen und Möglichkeiten ergänzt. Dein Kind zieht nun keine klare Grenze zwischen Realität und Fantasie. In der Welt deines Kindes ist alles möglich und hat seine ganz eigene magische Logik. Ausserdem entdeckt dein Kind in dieser Zeit, dass es mit seinen Handlungen die Welt um sich herum beeinflussen kann. Gleichzeitig denkt es, dass sein Verhalten die Ursache für das sei, was um es herum geschieht. Zum Beispiel denkt dein Kind, dass die Sonne heute so schön scheint, weil es an diesem Morgen nicht herumgetrödelt hat. Oder es glaubt, dass du Kopfschmerzen hast, weil es sein Zimmer nicht aufräumen wollte.
Kleine Kinder erleben die Welt um sie herum sehr komplex und gross und sie werden viele Jahre brauchen, um sie nur schon ein bisschen zu verstehen. Warum regnet es? Wo geht die Sonne am Abend hin? Warum verlieren Bäume im Winter ihre Blätter? Dein kleines Kind weiss noch nichts von Physik, Biologie etc.. Und so wird dein Kind oft von Dingen, die es noch nicht erklären kann, verunsichert. In der magischen Phase kennt dein Kind zwar bereits reale Abläufe und Zusammenhänge und nimmt diese auch bewusst wahr. Aber natürlich hat dein Kind auch noch viele Verständnislücken. Diese versucht es nun ganz einfach mit eigenen Erklärungen zu füllen und schafft sich so mit Hilfe der Fantasie seine ganz eigene Realität. Warum Kinder das tun, beschäftigt die Wissenschaft schon seit langer Zeit. Während früher die kindliche Fantasie aus entwicklungspsychologischer Sicht als nutzlos angesehen wurde, misst man ihr heute eine grosse Bedeutung zu. Verschiedene Studien zeigen, dass sich kleine Kinder durch ihre Fantasie die reale Welt erschliessen.
Zunächst klingt das zwar paradox – doch erst in der Abgrenzung zum Magischen und Unmöglichen kann ein Kind die Realität mit all ihren Grenzen vollständig erfassen. Also durchlaufen Kinder die magische Phase, um die Grenzen zwischen Realität und Fiktion langsam, aber sicher erfassen zu können.
Die Kraft der Fantasie
Lange Zeit wurde befürchtet, dass besonders fantasievolle Kinder Schwierigkeiten haben, Realität und Fantasie auseinander zu halten. Zum Glück wurde in der Wissenschaft mittlerweile festgestellt, dass gerade fantasievolle Kinder dies äusserst gut können! Denn durch die intensiven Erfahrungen in der magischen Phase haben sie gelernt, Fiktion und Wirklichkeit besser zu erkennen.
Ausserdem belegen Studien, dass die kindliche Fantasie die kognitive Entwicklung fördert und deinem Kind zu neuen Einsichten und Lösungen verhilft. Denn wenn sich dein Kind seiner Fantasie hingibt, schult es sein lösungsorientiertes und unkonventionelles Denken!
Beispiel:
Beim Wandern zeigten wir meinem Enkelsohn die Eigernordwand und erklärten ihm, wie schwierig sie für Bergsteiger zu bezwingen sei. Unter anderem auch ,weil der Eiger hoch ist und dort oben weniger Sauerstoff vorhanden ist. Sofort begann er zu überlegen und erklärte dann, er habe etwas erfunden, was es den Bergsteigern einfacher mache. Er habe einen Rucksack erfunden, der ein Mundstück habe wie ein Schnorchel. Und im Rucksack befinde sich ein Strohhalm (Röhrli). Am Anfang der Bergbesteigung sei er nur kurz, aber mit einem Knopfdruck könne man ihn verlängern. Und so könne der Bergsteiger immer genug Sauerstoff von unten einatmen und er müsse auch nicht die schwere Tauchersauerstoffflasche mittragen. Ich war begeistert von seinen Überlegungen und seinem Lösungsvorschlag! Natürlich ist die Erfindung für meinen fünfjährigen Enkelsohn, welcher mitten in der magischen Phase steckt, auch problemlos umsetzbar.
Es hat sich ausserdem gezeigt, dass die magische Phase das Selbstbewusstsein deines Kindes fördert. Ein imaginärer Freund zum Beispiel kann dein Kind enorm stärken und ihm zu Fähigkeiten verhelfen, welche es zur Bewältigung schwieriger Aufgaben benötigt.
Fantasiegeschichten – ob von deinem Kind selbst ausgedachte oder vorgelesene – helfen deinem Kind, Erklärungen für die Realität zu finden. Dein Kind spielt die Geschichte nach, ist selbst der Zwergenkönig oder die gute Fee. Damit kann es Wissenslücken füllen, für dein Kind logische Erklärungsansätze finden und so eine Orientierung in der realen Welt erhalten und sich sicherer fühlen.
Auch verhilft die Fantasie deinem Kind zu mehr Empathie. Der Grundstein dazu wird nämlich bereits in der frühen Kindheit gelegt. Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass eine starke kindliche Fantasie die Ausprägung der Empathie fördert. Durch die Interaktion mit magischen Wesen lernt dein Kind, sich in andere hineinzuversetzen, und entwickelt Empathie. Es beginnt zu verstehen, dass seine Handlung Auswirkungen hat und andere auch Gefühle haben. Diese Erfahrungen in der Fantasiewelt kann dein Kind in die reale Welt mitnehmen und so wichtige Schritte in seiner sozialen Entwicklung machen. Also sind Kinder, die an Fantasiewesen, Zwerge und Elfen glauben, oft sehr empathisch.
Wie kannst du dein Kind in der magischen Phase unterstützen?
Du kannst dein Kind auf verschiedene Arten in der magischen Phase unterstützen.
Dein Kind in seiner Fantasie ernst nehmen
Zuallererst ist es wichtig, dass sich dein Kind in dieser Phase ernst genommen fühlt. Du solltest dir klar machen, dass dein Kind nicht bewusst Lügengeschichten erzählt. Es kann seine Gedanken und Empfindungen einfach noch nicht immer klar zuordnen. Deshalb ist es enorm wichtig, dass dein Kind wahre Erlebnisse und fiktive Vorstellungen miteinander verknüpfen darf. Manchmal ist man versucht, die magische Logik zu erklären, das Kind von der Realität zu überzeugen oder es wegen Lügen auszuschimpfen. Ich denke aber, dass es wichtig ist, gelassen zuzuhören, ohne zu bewerten. Ich nutze jeweils die Gelegenheit auch selbst wieder einmal in die Fantasiewelt einzutauchen.
Fantasiespiele ermöglichen
Gib deinem Kind so oft wie möglich die Gelegenheit, in Fantasiewelten einzutauchen und seine eigenen Geschichten zu erfinden. Biete ihm dazu geeignetes Spielmaterial - Zwerge, Feen, Glitzerbogen oder Spielpilze von hanni&fred eignen sich hervorragend. Generell Spielsachen, welche offen gestaltet sind und wenig vorgeben, wie Bauklötze, Holztiere, Plüschtiere etc. Auch Tücher, Papier, Karton, alte Zeitungen, Äste sowie Verkleidungssachen sind toll, um in Fantasiespiele eintauchen zu können.
Geschichten fördern die Fantasie
Erzähle deinem Kind Geschichten und Bilderbücher, die die Fantasie anregen. Märchen und Fantasiegeschichten bieten mit ihren Inhalten deinem Kind Erklärungen und stärken es auf diese Weise. Wiederholtes Erzählen der gleichen Geschichte ist wichtig. Auch wenn wir Erwachsenen das etwas langweilig finden, sorgt es doch für dein Kind für Vertrautheit und Sicherheit. Denn Sicherheit stellt sich dann ein, wenn eine Geschichte immer wieder gehört wird. Und so kann sich dein Kind ganz auf die Geschichte einlassen. Bestimmt erinnerst du dich selbst an Geschichten, welche du auf und ab hören wolltest, und wie sehr du diese Geschichten geliebt hast.
Je jünger dein Kind ist, um so wichtiger ist die häufige Wiederholung einer Geschichte. Kinder lieben Geschichten, welche ihrer Fantasie Spielraum lassen oder sie auf neue Ideen bringen. In Märchen und Fantasiegeschichten ist es ganz normal, dass Tiere oder Pflanzen menschliches Verhalten zeigen, wie zum Beispiel Tiere, die sprechen können oder dass Fantasiewesen wie Zwerge, Feen, Hexen oder Zauberer die Geschichte besiedeln. Dein Kind bekommt dadurch neue innere Bilder und kann diese mit eigenen Vorstellungen erweitern. Dies hilft deinem Kind dann in unbekannten Situationen fantasievoll Lösungen zu finden.
Kreativität zulassen
Bastelmaterial, Mal- und Zeichnungsutensilien, Verkleidungssachen sowie Spielsachen die der Fantasie Platz lassen, helfen deinem Kind seine Fantasie überhaupt ausdrücken zu können. Freue dich mit deinem Kind über unkonventionelle Lösungen und Ideen und ermutige es immer wieder, seine Vorstellungskraft zu nutzen!
Auch Ängste gehören in die magische Phase
Leider sorgt die grosse Fantasie in der magischen Phase nicht nur für Beruhigung und sichere Orientierung. Gerade in dieser Zeit tauchen auch Ängste bei deinem Kind auf. Da kann ein Kleidungsstück über der Stuhllehne zum Ungeheuer werden, eine Decke am Boden zum lauernden Löwen. Im Schrank könnte ein Gespenst sein und unter dem Bett ein wildes Tier. Auch plagen dein Kind in der magischen Phase oft Schuldgefühle. Es befürchtet, dass Papa nie mehr nach Hause kommen wird, weil es am Morgen mit ihm gestritten hat. Oder es, glaubt der Teddy ist für immer weg, weil es ihn vor kurzem aus dem Fenster in den Garten geworfen hat. Denn im Alter von drei bis sieben Jahren fühlt sich dein Kind allmächtig, andererseits macht ihm genau dieses Allmachtsgefühl Sorgen.
Viele Erwachsene gehen rational an die Fantasiewelt ihres Kindes heran, erklären alles und zeigen ihrem Kind haargenau die Realität auf. Doch dies stellt die Zusammenhänge, die sich das Kind erschaffen hat, in Frage und verunsichert es sehr. Es wird sich mit der Zeit nicht mehr getrauen, über seine Gedanken, Ängste und Theorien zu reden. So ist es also besser, dem Kind die Welt, die es sich geschaffen hat, zu lassen. Auch wenn es uns Erwachsenen manchmal abstrus vorkommt, wovor sich ein Kind fürchtet, so ist es also wichtig, die Ängste ernst zu nehmen und aktiv zu werden. Besser, als deinem Kind zu erklären, dass da kein Krokodil unter dem Bett sein kann, lässt du dich ein in die Fantasiewelt deines Kindes. Das heisst, als Eltern muss man auch einmal das Gespenst im Schrank verscheuchen, den Deckenlöwen anbrüllen oder einen Anti- Ungeheuer-Spray versprühen.
Super finde ich auch, mit dem Kind Hilfen und Gegenzauber zu suchen. Das kann eine Kartonschachtel sein, in welche Gespenster und wilde Tiere gesperrt werden können, ein Beschützerzwerg, der auf dem Nachttischchen Wache hält und alles Gefährliche vertreibt, oder ein Zauberspruch gegen allerlei Wesen – lasse deiner Fantasie freien Lauf.
Zusätzlich ist es gut, wenn du deinem Kind immer wieder versicherst, dass du (oder eine vertraute Bezugsperson) da bist und es beschützt. So stellst du seine Angst nicht in Frage und versicherst, dass du es durch die Angst begleitest.
Macht sich dein Kind jedoch grosse Schuldgefühle, ist es hingegen wichtig ihm aufzuzeigen, dass das hohe Fieber des Grossvaters nichts mit dem Wutanfall deines Kindes letzte Woche zu tun hat. In diesen Situationen braucht dein Kind eine einfühlsame und für es nachvollziehbare Erklärung, dass diese Dinge nicht zusammenhängen.
Der Magie entwachsen
Und wenn dein Kind plötzlich nachfragt und Zusammenhänge ganz genau erklärt haben möchte? Wahrscheinlich ist dein Kind dann schon von selbst darauf gekommen, dass die Zahnfee vielleicht doch einfach Mama ist. Oder gewisse Dinge, an die es geglaubt hat, vielleicht doch nicht ganz so sein können. Das zeigt, dass dein Kind langsam zwischen Realität und Fiktion unterscheiden kann und sich allmählich aus der magischen Phase verabschiedet. Aber das kann eine Weile dauern und Realität und Fantasie überlappen sich.
Beispiel:
Mein Enkel hat mir vor kurzem erzählt, dass er die Woozles (fiktive Figur aus einer TV-Sendung) nicht zu einem Fest einladen werde, da sie Dinge erzählen, die nicht sein können. Nämlich habe Woozle gesagt, dass Hokus und Pokus in den Bergen wohnen und gleichzeitig leben sie nahe der Stadt. Und an zwei Orten zur selben Zeit könne ja niemand sein. Ich fand dies sehr rührend – denn einerseits ist mein Enkelsohn noch ganz in der magischen Phase, denn für ihn gibt es die Woozles wirklich. Aber mitten in seiner magischen Welt hat sich ein wenig der Realitätsbezug eingeschlichen. Und so übt mein Enkel die Realität einfach einmal auf dem noch sicheren Gebiet der Fanatsiewelt.
Wenn dein sechs- oder siebenjähriges Kind aus der magischen Phase herausgewachsen ist, heisst das aber nicht, dass es nicht mehr fantasievoll spielen wird! Nun wird die Fantasiewelt aber ganz bewusst eingesetzt, weil es Kindern grossen Spass macht, in Fantasiewelten einzutauchen, und weil Fantasie unser Leben beflügelt.
Ich möchte dich also auffordern, die Fantasie deines Kindes ernst zu nehmen und seine magische Welt zu respektieren und zu fördern. Indem du dies tust, trägst du dazu bei, dass dein Kind zu einem selbstsicheren, empathischen und einfallsreichen Menschen heranwächst. Ich wünsche mir sehr, dass die Magie der Kindheit stets in uns lebendig bleiben kann!
Nun wünsche ich dir magische Momente mit deinem kleinen Sonnenschein!
Liebe Grüsse aus dem Atelier
Monika von hanni&fred